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             Tschernobyl - Wie kam es 
            zum Super-Gau? 
          
        
         
           
              
          
        
        Das fatale Experiment 
          Bereits am 25. April 1986 sollte im 4. Block ein Experiment stattfinden, 
          bei dem überprüft werden sollte, ob die Turbinen bei einem 
          kompletten Stromausfall im Kraftwerk noch genügend Strom liefern 
          können, um die Notkühlung des Reaktors zu gewährleisten. 
          Um das Experiment unter realistischen Bedingungen stattfinden zu lassen, 
          wurde das Notprogramm "Havarieschutz" abgeschaltet, in dem 
          alle wichtigen Sicherheitseinrichtungen wie die Notkühlung und 
          das Einfahren der Bremsstäbe zusammengefaßt sind. Doch der 
          Beginn des Experiments wurde verschoben, so dass die unvorbereitete 
          Nachtschicht des 26. April die Durchführung eines Experiments übernahm, 
          dessen Versuchsanordnung den Reaktor praktisch schutzlos gemacht hatte. 
          
        Der Unfall 
          Durch einen Bedienungsfehler des unerfahrenen Reaktoroperators Leonid 
          Toptunow fiel kurz vor Beginn des Experiments die Reaktorleistung stark 
          ab. Um sie wieder anzuheben, entfernten die Operatoren Bremsstäbe 
          (mit denen die atomare Kettenreaktion kontrolliert werden kann) und 
          unterschritten dabei die zulässige Minimalgrenze von 28 Stäben. 
          Damit war der Reaktor noch schwerer zu beherrschen und in einem gefährlichen 
          Sicherheitszustand.
          Dennoch befahl der Stellvertretende 
          Chefingenieur des Kraftwerks, Anatolij Djatlow, den Beginn des Experiments. 
          Dabei schalteten die Operatoren zu viele Kühlpumpen zu, so dass 
          der mit wenig Leistung arbeitende Reaktor das ihn umfließende 
          Wasser nicht mehr verdampfen konnte. Das Wasser begann aufzukochen, 
          und erste hydraulische Schläge waren zu hören. Akimow, der 
          Schichtleiter, und Toptunow wollten den Test abbrechen, doch Djatlow 
          trieb sie weiter an. Dabei sprach er die historischen Worte: "Noch 
          ein, zwei Minuten, und alles ist vorbei! Etwas beweglicher, meine Herren!" 
          Es war 1.22:30 Uhr.
           
          Als die Bedienungsmannschaft nun den Strom abschaltete und nur die Auslaufenergie 
          der Turbine die Wasserpumpen antrieb, wurde wieder weniger Kühlwasser 
          durch den Reaktorkern gepumpt. Das Wasser wurde heißer, erreichte 
          aber nur die Siedetemperatur. Da der Reaktor nur bei verdampfendem Kühlwasser 
          ausreichend gekühlt werden kann, begann seine Leistung anzusteigen. 
          Es war 1.23:04 Uhr.
          
          Spätestens an dieser Stelle wäre der Havarieschutz komplett 
          angelaufen und hätte die Katastrophe verhindert, aber er war ja 
          abgeschaltet. Als Akimow den sprunghaften Leistungsanstieg im Reaktor 
          bemerkte, löste er um 1.23:40 Uhr den Havarieschutz manuell aus. 
          Sofort wurden alle Bremsstäbe, die sich nicht in der aktiven Zone 
          befanden, eingefahren (über 200 Stück!). Doch genau an diesem 
          Punkt entblößte der RBMK-Reaktor seinen gravierendsten Konstruktionsfehler: 
          Die Einfahrgeschwindigkeit der Bemsstäbe ist viel zu niedrig, deutlich 
          langsamer als in westlichen Kernkraftwerken. 
          Außerdem befinden sich an der unteren Spitze der Bremsstäbe 
          Graphitköpfe, welche die Kettenreaktion nur noch beschleunigen. 
          Das Einfahren der Bremsstäbe soll die Kettenreaktion aber stoppen. 
          Auf diesem Konzept beruht der Sicherheitsmechanismus jedes Kernkraftwerks. 
          Der Konstruktionsfehler des RBMK führte aber genau zum Gegenteil. 
          Da die Graphitspitzen zuerst eingeführt wurden, erhöhte sich 
          die Leistung für einen Moment sprungartig - der letzte Schub, der 
          "Todesstoß" für den außer Kontrolle geratenen 
          Reaktor. Ein simpler Vergleich drängt sich auf: man fährt 
          mit dem Auto auf einer abfallenden Gebirgsstraße und muß 
          plötzlich eine Vollbremsung vornehmen. Beim Tritt auf die Bremse 
          beschleunigt der Wagen jedoch...
        
  
          Fatalerweise hatten sich durch die ungeheure Hitze im Reaktorkern auch 
          noch die Kanäle der Bremsstäbe verformt, und die Bremsstäbe 
          verklemmten sich unwiderruflich. Es waren beinahe nur die reaktionsbeschleunigenden 
          Graphitköpfe im Reaktor. Die Katastrophe war nicht mehr zu verhindern. 
           
          In der aktiven Zone begann eine chemische Reaktion zwischen dem Zirkonium, 
          das die mitllerweile geborstenen Brennstoffkammern umhüllt, und 
          dem Dampf. Es bildeten sich Wasserstoff und Sauerstoff - Knallgas!
        
   
          Um 1.23:58 Uhr zerriß eine mächtige Knallgasexplosion den 
          Reaktor und alles, was ihn umgab. Ein großer Teil des radioaktiven 
          Reaktorinhalts wurde nach draußen geschleudert. Glühende 
          Teile entzündeten die Teerdachpappe der Dächer des Maschinenhauses 
          und des benachbarten 3. Blocks.  
          Nur der heldenhafte Einsatz von Feuerwehrleuten und Kraftwerksmitarbeitern 
          verhinderte in dieser Nacht eine noch größere Katastrophe.
           
          Bei der Explosion wurden zwei Männer durch herabstürzende 
          Trümmer erschlagen. In den Wochen nach der Katastrophe starben 
          noch weitere 30 Menschen. Sie erlagen der gewaltigen Strahlung, der 
          sie bei ihren Rettungsarbeiten ausgesetzt waren. Unter ihnen sind Feuerwehrleute, 
          die Operatoren Akimow und Toptunow sowie Mitglieder des Betriebspersonals 
          des Kraftwerks.
           
          In den folgenden Monaten kamen sogeannte "Liquidatoren" nach 
          Tschernobyl (Soldaten, Studenten und "Freiwillige"), die das 
          Kraftwerk dekontaminierten, weitere Gefahrenquellen eliminierten und 
          schließlich den Sarkophag umbauten, der heute den explodierten 
          4. Block umschließt. Die Zahlenangaben zu den eingesetzten Personen 
          schwanken zwischen 600.000 und 1,2 Millionen Menschen. 
          Ebenso schwer ist eine (vorläufige) Opferbilanz zu ziehen, da nur 
          sehr wenige Liquidatoren der akuten Strahlenkrankheit erlagen. Vielmehr 
          sind die meisten Todesfälle auf die Spätfolgen der Verstrahlung 
          zurückzuführen, zum Beispiel auf Krebserkrankungen, Immunschwäche-Krankheiten 
          (sogenanntes "Tschernobyl-Aids"), Herz-Kreislauf-Erkrankungen 
          und Depressionen (Selbstmord). Je nach Standpunkt der Betrachter schwanken 
          heute die Zahlen über alle Tschernobyl-Opfer zwischen 10.000 und 
          über 250.000! Genau wird man es nie herausfinden. Zumal in ganz 
          Europa, vor allem in den am meisten betroffenen Gebieten in Weißrußland 
          und der Ukraine, noch heute "Unbeteiligte" an den Folgeschäden 
          von Tschernobyl sterben. Vor allem die Krebs- und Kindersterblichkeitsraten 
          steigen, in den stark verstrahlten Gebieten sogar explosionsartig. Der 
          medizinische Zustand der Kinder, die auf verstrahlten Böden aufwachsen, 
          ist erschreckend. Und diese Folgen werden sich nicht auf die heutigen 
          Generationen beschränken. 
          
          Tschernobyl ist vielmehr eine Katastrophe, die niemals endet. 
      
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