Naturprodukte-Online-Shop. Emmilia Schmidt.

Wer sich mit der Katastrophe und der menschlichen Tragik von Tschernobyl befasst, kommt nicht darum herum, sich in Ansätzen mit der Geschichte der sowjetischen Atomenergie zu befassen.

Ich habe dies ansatzweise im letzten Jahr getan und stelle hier Auszüge eines Aufsatzes fuer diese Homepage zur Information zur Verfügung, da sie die hervorragende Seite über Tschernobyl ergänzen dürften.

In den Vereinigten Staaten wird der Beginn des Atomprogramms gewöhnlich auf den 2. August 1939 datiert, als Albert Einstein - knapp einen Monat vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges - einen Brief an US-Präsident Roosevelt schrieb, in dem er ihn warnend auf die Gefahr hinwies, dass Deutschland vielleicht in der Lage sei, eine Atombombe zu bauen.

Daraufhin wurde im Juni 1941 das "Office of Scientic Research and Development" geschaffen. Ein Jahr später wurde dieses zum sogenannten "Manhattan-Projekt" erweitert. Die erste Kettenreaktion von Uran-235 wurde am 2. Dezember 1942 in einem Chicagoer Labor in einem kleinen Reaktor erreicht. Im November 1941 formulierte der damals 28-jährige Physiker Georgij Fljorow, tätig an einer
Militärfliegerschule: "Man muß immer daran erinnern, daß der Staat, der als erster die Atombombe verwirklicht, der ganzen Welt seine Bedingungen diktieren kann".

Doch erst nach der Mitteilung Präsident Trumans an Stalin
anläßlich der Potsdamer Konferenz von 1945 erkannte dieser die Wichtigkeit des Besitzes von Atombomben für die Sowjetunion zur Wiederherstellung des strategischen Gleichgewichtes. Er befahl Fljorow: "Das Gleichgewicht ist gestört. Stellen Sie die Bombe her!". An diesem unter äußerster Geheimhaltung geplanten Projekt, an dem auch deutsche Spezialisten teilnahmen, darunter Manfred von Ardenne, Alfred Recknagel, Max Steenbeck, Fritz Bernhard und
Gustav Hertz, wurde bis zum 23. September 1949 gearbeitet. An diesem Datum wurde die erste sowjetische Atombombe fertiggestellt und getestet.

Geheimdienstchef Berija persönlich soll über einem Dutzend hochqualifizierten Wissenschaftlern mit Erschießung gedroht haben, falls das Projekt nicht bis zu Stalins 70. Geburtstag am 20. Dezember 1949 abgeschlossen sei. Er scheute sich nicht einmal, den Wissenschaftlern eine Doppelgängergruppe "daneben" zu
stellen, um diese im Falle der Liquidierung der ersten Gruppe an dem Projekt "weiterarbeiten" zu lassen (Daniel Granin). Obwohl die Sowjetunion das dritte Land war, das eine Atombombe baute (nach den USA und Großbritannien), war sie das erste Land, das Atomreaktoren für die Stromerzeugung einsetzte. Das erste
sowjetische Atomkraftwerk wurde am 27. Juni 1954 in Obninsk eingeweiht und begann mit der Erzeugung von Strom. Obninsk blieb fast zehn Jahre lang der einzige sowjetische Kernreaktor.

Im März 1956 setzte sich einer der führenden russischen Kernphysiker, Igor Kurtschatow für den schnellen Ausbau von
Kernkraftwerken ein. Kurtschatow, der sich hohen Ansehens bei dem
sowjetischen Parteichef Chruschtschow erfreute, überzeugte diesen davon, weitere Kernkraftwerke zu bauen. Ein entsprechendes Atomenergieprogramm wurde schließlich 1956 oder 1957 gebilligt. Atomstädte entstanden, und zwar vor allem im weniger dicht bevölkerten Sibirien, wo Schlüsselbetriebe des militärischen Atomkomplexes konzentriert sind. Bevorzugter Reaktortyp wurde
der sogenannte RBMK-Reaktor, dessen Wirkungsweise auf dieser Homepage genau beschrieben wird. Laut Zhores Medwedjew: Vermächtnis (vgl. Literaturliste auf dieser Homepage) standen zwar alle Reaktortypen (graphit-moderierte Reaktoren, Druckwasser-Reaktoren, schnelle Brüter) zu dieser Zeit zur Verfügung. Die
Bevorzugung des Typs RBMK sei jedoch daher zu erklären, dass hier das technisch am wenigsten komplizierte Modell aus der Sicht des Jahres 1960 favorisiert worden sei. Entscheidend dürfte aber gewesen sein, dass graphitmoderierte Reaktoren dieses Typs, wie sie in Tschernobyl stehen, ursprünglich für militärische Zwecke verwendet wurden - sie erzeugen Plutonium in grossen Mengen.

Aus diesem Grunde wurden die Argumente der Gegner dieses Reaktortyps - die den sogenannten Druckwasser-Reaktor WWER (Wasser-Wasser-Energiereaktor) - auch für den Bau eines KKWs in Tschernobyl - bevorzugten, ignoriert. 1986 waren wesentlich weniger WWER-1000-Reaktoren in Betrieb als Reaktoren vom Typ RBMK-1000. 14 Anlagen des Typs RBMK-1000, auf die über die Hälfte der Atomenergiekapazität des Landes entfiel, standen zum
Zeitpunkt des Unfalls in Tschernobyl sechs oder sieben Reaktoren des Typs WWER-1000 gegenüber. Erst zwei Jahre nach dem Unfall in Tschernobyl, 1988, wurde entschieden, auf den Bau weiterer RBMK-Reaktoren zu verzichten. Das RBMK-Programm hatte ein unrühmliches Ende gefunden.

So weit zur Geschichte der sowjetischen Atomenergie, die in der Katastrophe von Tschernobyl gipfelte. Nichtsdestotrotz befinden sich hochgefährliche Reaktoren dieses Typs auf dem Gebiet Rußlands und der früheren UdSSR, etwa Ignalina in Litauen und andere, die auf dieser Homepage ja ausführlich beschrieben worden sind.

Bernhard Nowak
Rödermark-Urberach